Anzeige
Es vergingen gerade einmal eineinhalb Tage, bis ein Filmabend im von den SPD-Jusos initiierten Willy Brandt Center in Jerusalem das israelische Außenministerium auf den Plan rief. „Wer liebt nicht ein wenig Popcorn und Terror?“, fragte das Ressort von Eli Cohen der rechtsgerichteten Likud-Partei am Donnerstagmorgen in bitterem Ton auf Twitter. Die israelische Botschaft in Deutschland schloss sich unmittelbar an: „Willy Brandts Erbe wird missbraucht, um das Erbe der Terroristin Laila Khaled zu verherrlichen“, hieß es hier.
Anzeige
Was war passiert? Am Dienstagabend lud das Willy Brandt Center Jerusalem – ein Begegnungszentrum für junge Israelis, Palästinenser und Europäer – in den sozialen Medien zu einer Filmvorführung des Dokumentarfilms „Hijacker“ ein. Der Film porträtiert die Terroristin Leila Khaled, führendes Mitglied der marxistisch-leninistischen Palästinenserorganisation „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP).
Khaled hatte 1969 und 1970 zwei Flugzeuge entführt. In ihrer Autobiografie aus dem Jahr 1973 schreibt Khaled über ihre Schulzeit: „Zuerst hegte ich Sympathie für Hitler, weil ich dachte, er sei ein Feind der Juden. Später fand ich heraus, dass er die Araber als Untermenschen klassifizierte, nur wenig über den Zigeunern und den Juden.“ Im Jahr 2002 rechtfertigte sie Selbstmordattentate als „Form des Widerstands gegen die alltäglichen Demütigungen unter der Besatzung“. Heute gilt sie als Ikone von Unterstützern der Israel-Boykott-Bewegung BDS.
Anzeige
In der Einladung des Willy Brandt Center (WBC) fehlten kritische Worte über Khaled allerdings gänzlich. Darin hieß es zunächst lediglich: „Wir laden herzlich zu unserem klimatisierten Filmabend am kommenden Mittwoch ein. Im Anschluss an den Film findet eine kritische Debatte über feministische Friedensarbeit mit unserem besonderen Gast Nivine Sanouka statt.“ WELT fertigte vor Löschung der Postings Screenshots an.
Die Empörung auf Twitter war groß. Schnell überarbeitete das WBC seine Ankündigung. „Eine kritische Auseinandersetzung über Mythen der Gewalt“, stand nun auf dem Filmplakat. „Wir laden Sie ein zu Popcorn, Kontroverse und kritischer Auseinandersetzung“, hieß es dann im Einladungstext. „Jeder weiß, dass sich das WBC seit 25 Jahren für Gewaltlosigkeit und Frieden durch Dialog einsetzt. Doch wenn wir Konflikte verstehen wollen, können wir andere Narrative, die für die Konfliktparteien bis heute relevant sind, nicht ignorieren.“
Lesen Sie auch
Advertorial Kreditkarten
Mehr von dem, was du liebst: Die Platinum Card
Die Veranstaltung werde gemeinsam mit dem WBC-Partner „This is not an Ulpan“ stattfinden, hieß es weiter. Dies ist eine von Linken gegründete Sprachschule für Hebräisch und Arabisch, die von jüdischen und palästinensischen Lehrern geleitet wird. Dort findet man hingegen einen gänzlich anderen Einladungstext. „Während die Verfolgung eines Volkes in Europa endete, begann im Nahen Osten die Unterdrückung eines anderen“, heißt es darin. Israels Palästinenserpolitik wird hier demnach implizit mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung verglichen – eine klassische Erzählung des israelbezogenen Antisemitismus.
Anzeige
Auf eine WELT-Anfrage, wie das Willy Brandt Center den Einladungstext seiner israelischen Partnerorganisation bewerte, teilte das Begegnungszentrum mit, dass man auf deren Text „keinerlei Einfluss“ habe. „Die dort verwendete Formulierung machen wir uns nicht zu eigen.“
Am Donnerstagmorgen entschied das Zentrum, die gesamte Veranstaltung abzusagen. „Leider ist im Rahmen des Postings der dazugehörige und notwendige Begleittext, der deutlich machte, dass es um eine kritische Auseinandersetzung geht, nicht direkt mit veröffentlicht worden“, hieß es in einem Statement. „Dieser Fehler hätte nicht passieren dürfen und wir bitten um Entschuldigung für den Eindruck, der entstanden ist.“
Die Vorführung und „kritische Diskussion eines kritischen Films“ über Leila Khaled bedeute „absolut nicht“, dass man die Standpunkte und Überzeugungen Khaleds teile, so das Zentrum weiter. Ziel der Aufführung sei es gewesen, „Terror und Gewalt zu entmystifizieren und als Mittel zur Durchsetzung politischer und gesellschaftlicher Anliegen zu delegitimieren“.
Ein Film mit Sympathie für Terror
Anzeige
Anzeige
Der Film beginnt mit folgenden Worten der Regisseurin Lina Makboul: „Diese Frau ist eine Terroristin. Mit zwei Handgranaten und einer Pistole wurde sie weltweit die erste Frau, die ein Flugzeug entführte. Daher wurde sie meine Heldin.“ Als eine in Schweden aufwachsende Palästinenserin hatte die Filmemacherin Khaled bewundert. „Sie war mutig und schön. Und wir wollten beide dasselbe – ein freies Palästina“, sagt Makboul in dem Film.
Später habe sie sich aber komplexe Fragen über ihre Jugendheldin gestellt. „Nun bin ich erwachsen, und die Dinge sind nicht so einfach, wie ich dachte“, sagt Makboul. „Ich realisiere jetzt, dass die Leute in den Flugzeugen menschliche Wesen waren. Unschuldige Menschen, die aus ihrem Urlaub zurückkehren.“ Khaled sei durch ihre Flugzeugentführungen für den „schlechten Ruf“ der Palästinenser verantwortlich.
Kommentar
Antisemitismus
Das Anti-Israel-Netzwerk
Die Regisseurin stellt Khaled in dem Film zwar kritische Fragen, etwa, was die Passagiere mit der „palästinensischen Sache“ zu tun gehabt hätten oder warum die PFLP auch Kinder für den Kampf trainieren lässt. Sie lässt aber weiter Sympathie für Terror durchscheinen. „Vielleicht bewundere ich sie heimlich dafür, etwas zu tun, dass ich mich nie trauen würde“, sagt Makboul. „Sie entführte zwei Flugzeuge, und wie ich es verstehe, nur aus einem Grund: Sie will zurück nach Hause.“
Das Willy Brandt Center in Jerusalem geht auf Initiative der Jusos im Jahr 1996 zurück. Juso-Bundesvorsitzende war damals die spätere SPD-Parteichefin und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Unmittelbar vor der Gründung des WBC hatten sich Nahles und eine Juso-Delegation mit dem damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat getroffen. „Juso-Chefin Nahles sprach Arafat auf die Ziele des Willy Brandt Center an und lud ihn zum Festival der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend nach Bonn ein“, heißt es in einer Publikation des Zentrums.
Nahles ist heute neben ihrem Amt als Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit ehrenamtlich Vorsitzende des Trägervereins des Willy Brandt Center. „Frau Nahles ist im operativen Geschäft dort nicht beteiligt und wird sich über die Erklärung des Willy Brandt Center hinaus nicht äußern“, sagte eine Sprecherin der Arbeitsagentur.
Lesen Sie auch
Linksextreme Palästinenser
Diese Terror-Vorfeldorganisation steckt hinter der Berliner Judenhass-Demo
Im Jahr 2020 sorgten die Jusos für Aufruhr, da sie in einem Beschluss zum Willy Brandt Center nicht nur die jüdisch-zionistischen Jugendorganisationen der israelischen Meretz- und Arbeiterpartei, sondern auch die Fatah-Jugend als „Schwesterorganisation“ bezeichneten. Fatah-Vorsitzender ist der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. In Bezug auf die drei Partnerorganisationen hieß es in dem Beschluss: „Ein Veto bezüglich inhaltlicher Positionierung zum Konflikt akzeptieren wir.“
Ein Sprecher des Juso-Bundesvorstands sagte WELT, dass die Filmaufführung nicht im Rahmen des Engagements der Jusos im Willy Brandt Center geplant gewesen sei. „Die Jusos sind innerhalb des WBC Teil des Projektbereichs Politik und nicht Teil der Projektbereiche Bildung und Kultur.“
Anzeige
Anzeige
Das WBC ist Teil des Forums Ziviler Friedensdienst und wird in diesem Rahmen vom Bundesentwicklungsministerium gefördert. Aktuell fördert das Ministerium ein WBC-Projekt mit dem Titel „Für einen friedlichen sozialen Wandel: Förderung von Initiativen für kritische und inklusive Gesellschaften“. Auf WELT-Anfrage teilte das Ministerium mit, dass es sich für die Achtung der Menschenrechte sowie für eine starke Zivilgesellschaft in den Partnerländern einsetze. „Hierzu zählt auch, nichtstaatlichen Durchführungspartnern bei der Wahl ihrer Kulturprogramme freie Hand zu lassen und nicht vorzugeben, welche Gäste eingeladen und welche Filme gezeigt werden dürfen.“
Im neuen WELT-Podcast „Das denkt Deutschland“ sprechen Forsa-Geschäftsführer Thorsten Thierhoff und WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt jede Woche über die aktuellen Debatten – zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Und das auf Basis von empirischen Befragungsdaten. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple, Google, Deezer oder direkt per RSS-Feed.